„Wir wissen es alle, doch wir reden zu wenig darüber. Die Erderwärmung nimmt weiter zu. Mit enormen Folgen auch in Deutschland“, sagte Hans-Josef Vogel, Regierungspräsident Arnsberg a.D. und Vorsitzender des Landesverband Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen (LEE NRW) anlässlich der Energie-EXPO Münsterland 2025 in Heiden.
Die Erderwärmung sei deutlich zu spüren. Die Jahre 2022, 2023 und 2024 waren die jeweils wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. 2024 lag die Temperatur ganzjährig mehr als 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau. Und 2025 werde wieder eins der wärmsten Jahre.
Es geht um Grundrechte
„Das ist kein normales politisches Problem. Normale politische Probleme verursachen vielleicht höhere Kosten je länger man sie liegen lässt. Aber sie bleiben zugänglich und machbar. Das gilt für die Klimakrise nicht. Ihre Folgen bleiben. Sie sind unumkehrbar“, erklärte er. Seine Forderung: Die Politik – auch die Regierung – müsse mehr über Klimaschutz reden. „Hinter den Verfassungsauftrag Klimaschutz kann auch die neue Regierung nicht zurück. Klimaschutz ist ein Grundrecht. Es geht um die Freiheit der nächsten Generationen“, sagte er und kritisierte damit seine Parteikollegin, die neue CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, die in ihrem Antrittsinterview gesagt hatte, dass Klimaschutz in den vergangenen Jahren vielleicht „überbetont“ worden sei.
„Es stehen Grundrechte auf dem Spiel: Das Grundrecht auf Gesundheit und Unversehrtheit – schon heute kommt es auch in Deutschland in Hitzeperioden zu einer deutlichen Übersterblichkeit -, aber auch das Grundrecht auf Eigentum“, sagte Vogel und bezog sich auf Häuser in gefährdeten Lagen, auf die Landwirtschaft, auf die negativen Auswirkungen von Hitze, Dürre und Starkregen auf Boden und Wasser, auf gefährdete Erträge und damit zunehmende Lebensmittelengpässe und auf den Forst. „Die Wälder sind längst keine CO2-Senken mehr“, ergänzte er.
Akzeptanz und Beteiligung
Um die Energiewende und damit erfolgreichen Klimaschutz voranzubringen, hält Vogel folgendes für wichtig:
Aktive Akzeptanz: „Rund 80 % der Bevölkerungen akzeptieren die Erneuerbaren eher passiv und leise. Wir brauchen aber eine aktive Teilhabe wie im Bereich Balkonkraftwerke. Hier sind in Deutschland nun 1 Mio. Stück in Betrieb. Das ist Engagement. Das ist Handeln“, sagte er. Für wichtig hält er eine aktive Bürgerbeteiligung sowie die Direktversorgung von örtlichen Industrie- und Gewerbebetrieben mit erneuerbarem Strom und Wärme. „Das schafft Identifikation: Hier geht es dann um ´meinen Arbeitsplatz´, um ´meine Stadt´“, so Vogel weiter.
Die Genehmigungszahlen insbesondere im Bereich Windenergie sind gestiegen. Nun brauche es die Umsetzung. Vogel forderte schnellere Netzanschlüsse, einen an den Windzonen orientieren Netzausbau sowie Vereinfachungen für die notwendigen Schwerlasttransporte.
Es brauche ein technikoffenes und flexibles Backup-System. Die von Wirtschaftsministerin Reiche angedachten 20 GW-Gaskraftwerke seien nicht die Lösung. Einer der Gründe sei, dass es vermutlich „erhebliche Probleme bei der EU-beihilferechtlichen Genehmigung gebe“. „Die Branche muss verlässliche Antworten auf die Frage liefern, was schneller und besser geht“, betonte er.
Stromüberschüsse müssten in den Markt implementiert werden.
Die von der Ministerin geforderte Überprüfung, wie viel erneuerbarer Strom eigentlich notwendig sei, hält Vogel aus Sicht von Gewerbe und Industrie für gefährlich. Die Idee möge nicht schlecht sein, doch entscheidend sei, dass die kostengünstigen erneuerbaren Energien gerade in einem Industrieland wie NRW schnell ausreichend zur Verfügung stünden.
Auf die Frage, ob sich Genehmigungsverfahren sowie Ausbau der Erneuerbaren durch Entbürokratisierung beschleunigen ließen, antwortete Vogel: „Von Entbürokratisierung Reden wir seit Mitte der 70er Jahre. Sie funktioniert nicht, weil die Bürokratisierung von allen als Entschuldigung vorgebracht wird“, sagte er. Probleme sieht er in der trägen Digitalisierung in den Behörden, im Schwarze-Peter-Spiel bei der Umsetzung der Energiewende zwischen den Parteien, zwischen Bund und EU sowie im Hintereinander-Prinzip. „Aufgaben könnten schneller erledigt werden, wenn die Beteiligten parallel arbeiten und nicht immer hintereinander“, so Vogel.
Weiterhelfen könnte zudem ein Blick ins Ausland: „Studien in Form von internationalen Vergleichen fehlen“, sage Vogel. Doch die Erfahrungen anderer könnte bei Problemlösungen wie etwa der Suche nach einem passenden Strommarktdesign helfen.
Blick in die Zukunft
Als Gedankenanstoß gab Vogel den EXPO-Teilnehmern das Zitat aus einer Studie der Universität Brüssel mit auf den Weg: „Im Laufe ihres Lebens werden weltweit 52 % der heute fünfjährigen beispiellosen Hitzewellen ausgesetzt sein. Bei den heute 65jährigen sind es „nur“ 18 %“, sagte er. Beispiellos heiße dabei wirklich beispiellos.