Für Menschen, die nicht auf einem elterlichen Betrieb aufgewachsen sind, aber dennoch Landwirt oder Landwirtin werden wollen, kann dieser Weg herausfordernd sein. Zwei junge Landwirtinnen und ein Ausbilder berichten von ihren Erfahrungen auf dem Betrieb und in der Berufsschule.
Für einen erfolgreichen Ausbildungsstart: Vorerfahrung sammeln
Cora Gövert, 23 Jahre alt, aus Nottuln in NRW kommt nicht vom Hof. Ihre Eltern arbeiten in der Wirtschaft. Was in anderen Berufen keine Rolle spielt, ist in der Landwirtschaft immer noch erklärungsbedürftig. „Ich kann doch auch Friseurin werden, ohne dass meine Mutter einen Salon besitzt“, sagt sie. „Aber als Landwirtin ohne Elternbetrieb habe ich dauernd den Drang, mich zu rechtfertigen.“ Ursprünglich wollte sie Tierärztin werden, doch durch ihren Freundeskreis rutschte sie immer tiefer in die Agrarwelt hinein – „und habe gemerkt, dass das den Nagel auf den Kopf trifft“. In der Schulzeit begann sie zu melken, machte ihren Treckerführerschein, entschied sich für die landwirtschaftliche Ausbildung und hängte das Agrar-Studium direkt hintenan.
Auch Maria Weil, die eigentlich anders heißt, aber anonym bleiben möchte, wuchs nicht auf einem Hof auf. Doch bereits in der Schule unterstützte sie als Erntehelferin auf dem Feld und im Stall. In den Ferien machte sie Praktika. Sie sagt: „Man sollte bereits vor dem Start der Ausbildung oder des Studiums wissen, wovon man spricht. Das erleichtert den Einstieg in den Beruf. Da unterscheidet sich die Landwirtschaft von anderen Branchen.“ Sie empfiehlt, wo immer es geht, Vorerfahrungen zu sammeln.
Landwirtin zweiter Klasse?
Besonders zu Beginn sorgte die Frage „Kommst du vom Hof?“ bei Cora Gövert für Verunsicherung. „Ich hatte das Gefühl: Ich gehöre zwar dazu, werde aber als zweitklassige Landwirtin abgestuft.“ In ihrer Ausbildung setzte sie sich zunächst unter Druck. So wälzte sie jede Fachzeitung, die sie in die Hände bekam und versuchte, den gefühlten Rückstand aufzuholen.
So wie ihr scheint es vielen jungen Landwirtinnen und Landwirten zu gehen, die in die Landwirtschaft einsteigen wollen. In einer erst kürzlich durchgeführten Umfrage auf topagrar.com und den Social-Media-Kanälen von top agrar gaben über 1.700 Leserinnen und Leser ihre Stimmen ab. Die Frage, ob man sich ohne Hofherkunft stärker beweisen müsse, stieß auf ein gemischtes Echo:
Sicht eines Betriebsleiters: Hofkinder ticken anders
Ein gemischtes Bild vermittelt Ausbilder Daniel Keppler aus Baden-Württemberg. Er organisiert regelmäßig Freizeiten für junge Landwirte. Hier hat er fast nur mit Jugendlichen zu tun, die vom Hof kommen. Das ist bei seinen Azubis auf dem Hof seltener der Fall. Von allen durch ihn ausgebildeten Landwirten kam nur einer vom Betrieb. Keppler findet: „Hofkinder ticken anders. Da gibt es kein Wochenende und keinen Feierabend. Für die ist Landwirt sein kein Beruf, sondern das gesamte Leben.“ Er versteht allerdings auch „die andere Seite“. Keppler selbst sei früher viel gereist und war gern unabhängig. Für ihn und nach seinen Angaben auch für viele seiner Berufskollegen sei es die größte Herausforderung, den Neuen diese „Arbeitsmentalität beizubringen“. Er sagt: „Die meisten neuen Azubis wissen das im Kopf, aber es ist noch nicht im Herzen angekommen.“ Auch fachlich sieht er Herausforderungen: „Wenn das Hofkind 100 % leistet, schafft der Neue 40 %. Ich verdiene damit weniger Geld.“ Trotz dieser hart klingenden Argumente sei es ihm wichtig, Azubis „von außerhalb“ auszubilden. Denn die Landwirtschaft brauche neue Fachkräfte. Und er nehme sich gern die zusätzliche Zeit dafür.
Wir kennen nichts und hinterfragen alles.“
Dass es für die Ausbilder herausfordernd sein kann, bestätigt auch Cora Gövert: „Wir kennen nichts und hinterfragen alles.“ Ihre Ausbilder seien dennoch froh gewesen, Leute ohne Hofherkunft zu lehren. Sie merkten, dass Gövert sich aus Begeisterung entschied und nicht aus traditionellem Zwang, wie sie sagt. Zudem sagte ihr erster Ausbilder: „Jeder glaubt, bei ihm zu Hause laufe es am besten und ist dadurch weniger offen für Neues.“
In der Bewerbung sagte sie ehrlich, dass sie kein Vorwissen habe. Ihr Ausbilder war dennoch überrascht, dass sie tatsächlich nicht „mal eben mit der Scheibenegge losfahren“ konnte. Ihr Azubi-Kollege, gebürtig vom Hof, sei ihr da voraus gewesen. „Ich konnte allerdings gut organisieren und Aufgaben optimieren. So haben wir uns ergänzt.“
Das sagt ein Berufsschullehrer
Die unterschiedlichen Mentalitäten und Stärken zeigten sich nach Göverts Erfahrung in der Berufsschule. „Die Nicht-Hofkinder strengten sich mehr an. Denn für die meisten ging es danach weiter ins Studium – auf sie wartet ja kein Betrieb zu Hause.“ In der Universität seien deutlich weniger Studierende vom Hof. Gövert sieht hier ein Problem: Die Masteranden und Promovierten seien meist die, die die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft setzen. Hier fehle der Praxisbezug. Andere Eindrücke in der Berufsschule hat Lehrer Wenzel Everwand. Er betont, er merke keine Unterschiede in der Klasse. Das bestätigt auch Ausbildungsberaterin Eva Niederdalhoff. Sie lobt das Niveau: „Oft sind sie sehr gut informiert und haben nur Detailfragen“, sagt sie. Eine Sache fällt Everwand doch auf: Die Schüler würden mit zunehmendem Anteil von Nicht-Hofkindern offener für neue Themen wie Ökolandbau und Nachhaltigkeit.
Zur vollen Portion Landwirtschaft gehören auch die Landjugend, die Landfrauen oder der Jagdschein.“
Auch bei den Berufsaussichten sieht der Berufsschullehrer keine Unterschiede zwischen Landwirten, die vom Hof kommen, und denen ohne Hofherkunft. Das bestätigt auch Eva Niederdalhoff: „Bei gleicher Qualifikation kommt es vielmehr auf das persönliche Auftreten und die Motivation an“, sagt sie.
Dem stimmt Maria Weil zu. Sie sagt: „Meinem Chef waren die Soft Skills mindestens so wichtig wie die Vorerfahrung. Will die Person lernen? Interessiert sie sich für die Zusammenhänge im Betrieb?“ Nicht auf die Herkunft komme es an, sondern auf die Chemie beim Probearbeiten.
Cora Gövert hat einen Weg gefunden, Brücken in die Branche zu bauen. „Zur vollen Portion Landwirtschaft gehören auch die Landjugend, die Landfrauen oder der Jagdschein.“ Es gelte, sich einer ganzen Welt zu öffnen. „Das erleichtert den Einstieg und erhöht das Gemeinschaftsgefühl“, weiß Cora. Wenn sie jetzt jemand fragt, dann antwortet sie: „Ich komme nicht vom Hof. Aber ich lebe für die Landwirtschaft.“